Autooperative Designs und konfluente Subjektivation: Zur erziehungswissenschaftlichen Bedeutung von hybriden Materialitäten am Beispiel von MusikmachDingen

Donner M (2024)


Publication Type: Thesis

Publication year: 2024

DOI: 10.25593/open-fau-1192

Abstract

Die kumulative Dissertation widmet sich der Frage nach der erziehungswissenschaftlichen Bedeutung von hybriden Materialitäten, die als digital-materielle Dinge und environments auf Basis von Informatisierung und autooperativen Designs in zunehmender Weise Alltagspraktiken präfigurieren sowie Selbst- und Weltverhältnisse mitstrukturieren. Exemplarisch untersucht wird dies mit guten Gründen am Beispiel von Musiktechnologien. Die eingereichten Aufsätze stellen Forschungsergebnisse aus dem Kontext des Verbundprojekts Musikalische Interface Designs: Augmentierte Kreativität und Konnektivität (BMBF 2017-2022) dar. Sie werden durch einen ausführlichen Rahmentext kultur- und grundlagentheoretisch eingebettet und forschungslogisch kontextualisiert.

Die Arbeit knüpft im weitesten Sinn an den Diskurs zur erziehungswissenschaftlichen und pädagogischen Bedeutung der Dinge an, wobei in Anbetracht der untersuchten hybriden, digital-materiellen ›MusikmachDinge‹ und environments einige perspektivische Aktualisierungen mit allgemeinpädagogischer Relevanz eingeführt werden. Im Fokus der Arbeit steht insbesondere die Frage nach dem Mitwirken der interaktiven hybriden Ding-Designs an Subjektivierungsprozessen. Im Anschluss daran stellen sich zudem Fragen nach damit verbundenen Herausforderungen und Chancen für den Bildungsbereich. Die vier Aufsätze thematisieren unterschiedliche Aspekte des Spannungsverhältnisses zwischen den Designs und Affordanzen der interaktiven Dinge, den damit verbundenen Subjektivierungsprozessen, ihrem neuartigen sozio-technischen Charakter sowie ihrer bildungspolitischen Institutionalisierung. Der Rahmentext erläutert und begründet mit Bezugnahmen auf Diskurse im Feld sowie auf thematisch angrenzende Disziplinen das forschungslogische Vorgehen und die grundlegenden Perspektiven der Arbeit.

Die kulturhistorische Kontextualisierung der hybriden MusikmachDinge und ihrer interaktiven Designs macht diese als Teil einer umfassenderen Entwicklung sichtbar, die auch die erziehungswissenschaftliche Theoriebildung selbst beeinflusst hat und sich unter dem Schlagwort einer polyvalenten gesellschaftlichen ›Kybernetisierung‹ subsumieren lässt. Im Rahmen dieser Entwicklung, der auch die Digitalisierung und der daran anschließende Postdigitalitätsdiskurs zuzuordnen sind, entstehen neue Bildungs- und Subjektverständnisse, die perspektivisch nicht mehr unbedingt auf Prozesse der (Selbst-)Reflexion abzielen und die in ihrem Kern posthumanistisch konfiguriert sind. In genealogischer Perspektive treten zwei Stränge innerhalb des ›kybernetischen Dispositivs‹ zutage – ein repräsentationaler und ein körperlich-performativer – die zwei Möglichkeiten darstellen, dieses Dispositiv zu deuten, sich ihm gegenüber zu verhalten und es zu gestalten. Die beiden Stränge eröffnen nicht nur unterschiedliche individuelle und kollektive Entwicklungsmöglichkeiten, sondern spannen auch unterschiedliche normative Horizonte auf.

Da sich die Subjektivierungsprozesse bei der Auseinandersetzung mit den hybriden Materialitäten der interaktiven MusikmachDinge in hohem Maße körperlich vermitteln, wird eine Perspektive auf Prozesse verkörperter Interaktivität entwickelt, mit der sich diese vor dem Hintergrund der dargelegten Kybernetisierung als soziotechnische Grenzprozesse empirisch präzise in den Blick nehmen lassen. Um die damit verbundenen Subjektivierungsformen genauer zu bezeichnen, bietet sich der Begriff einer konfluenten Subjektivation an, in der Menschen und (rechnende) environments sich aus Kooperationsgründen möglichst eng aufeinander abstimmen, wobei die aus der Environmentalität ubiquitärer Medientechnologien resultierende ›ökologische Perspektive‹ sich nicht auf Einzelindividuen beschränkt, sondern auch auf überindividuelle und transsubjektive Ebenen verweist.

Ein daran anschließendes Ergebnis der Arbeit ist die Entwicklung einer Methode zum Durchführen von bildungstheoretischen Strukturanalysen für hybride, digital-materielle Medientechnologien. Dabei wird an Ideen aus der strukturalen Medienbildung angeknüpft, die mit medien- und designtheoretischen Perspektiven ergänzt und zu einem eigenständigen Verfahren ausgebaut werden, das komplexere Analysen erlaubt als gängige Artefaktanalysen, sich aber auch sehr gut für den Einsatz in konkreten empirischen und (medien-)didaktischen Kontexten eignet. Basis dessen ist ein Subjektivierungsmodell, in dem verschiedene Relationierungs- ebenen von Mensch und Artefakt kontrastiv in den Blick genommen und Reduktionismen aller Art möglichst vermieden werden.

Auf Grundlage der empirischen Daten aus dem Projekt wird zudem eine Typologie der Haltungen entwickelt, mit denen die am Projekt Teilnehmenden den ausgeliehenen Musiktechnologien begegnen. In Verbindung mit den Strukturanalysen können auf dieser Grundlage die Passungsverhältnisse zwischen Nutzer*innen und Mediendesigns in den Blick genommen und pädagogisch fruchtbar gemacht werden. In den Haltungen zeichnen sich unterschiedliche Erwartungs-, Vorgehens-, Aneignungs- und Akzeptanzmuster ab, bei denen musikalische und/oder technische Vorkenntnisse zwar eine Rolle spielen, aber persönliche Interessen und Anliegen, private Umfelder, individuelle Zukunftsvorstellungen usw. sich als mindestens ebenso bedeutsam herausstellen. In (medien-)didaktischer Hinsicht lässt sich die Verbindung von Haltungstypen und Strukturanalysen sehr gut operationalisieren, um passgenaue Bildungsangebote mit spezifischen pädagogischen Zielsetzungen für unterschiedliche Zielgruppen zu entwickeln.

Weitere Ergebnisse der Arbeit sind zum einen das in Auseinandersetzung mit Jacques Rancière entwickelte Konzept ›medialer Sinnlichkeitsregimes‹ und einer damit verbundenen Körperpolitik, die auch mit spezifischen Historizitätstypen von Bildung und ihrer Vermittlung in und durch Bildungsinstitutionen korrespondieren. Exemplarisch erläutert wird dies anhand eines kurzen empirischen Beispiels aus dem Projekt, in dem die Entwicklung und die Adaption bzw. die Ablehnung von Gestenrepertoires thematisiert wird, die sich im Rahmen neuer Medien-Musizier- Praktiken entwickeln. Zum anderen lassen sich neben dem Plädoyer für das Gestalten passgenauerer Medienbildungsangebote auch einige bildungspolitische Empfehlungen aus den Forschungsergebnissen ableiten. So wird einerseits für das Fördern einer integrativen (statt einer zersplitterten) Kulturellen Bildung und für den Aufbau entsprechender Reflexionskompetenzen im Feld plädiert und andererseits vorgeschlagen, das Sonische als epistemisch relevanten relationalen Weltzugang als eigenen Bereich in musikalische Bildungsangebote einzuführen.

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Donner, M. (2024). Autooperative Designs und konfluente Subjektivation: Zur erziehungswissenschaftlichen Bedeutung von hybriden Materialitäten am Beispiel von MusikmachDingen (Dissertation).

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Donner, Martin. Autooperative Designs und konfluente Subjektivation: Zur erziehungswissenschaftlichen Bedeutung von hybriden Materialitäten am Beispiel von MusikmachDingen. Dissertation, 2024.

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