Ob? Wie? Oder auch wie sehr? Besorgnis der Befangenheit wegen Vorbefassung

Kudlich H, Ohlig M (2023)


Publication Type: Journal article, decision note

Publication year: 2023

Journal

DOI: 10.1515/juru-2023-2016

Abstract

Die Unparteilichkeit des Richters ist eine zentrale Grundlagejedes rechtsstaatlichen (nicht nur Straf‑)Verfahrens.1Nichtumsonst betonen etwa Art.47 der Grundrechtecharta derEuropäischen Union oder auch Art.6 Abs.1 EMRK das Rechtauf ein »unparteiisches (...) Gericht«. Allein ein neutralerRichter wird den basalen Vorstellungen2von der Richter-rolle gerecht. Im deutschen Strafverfahrensrecht wird dieUnparteilichkeit und damit auch möglichst Unvoreingenom-menheit  des  Richters  auf  verschiedenen  Ebenen  abge-sichert: In einem ersten Schritt gewährt der durch Art.101Abs.1S.2 GG (welcher durch die Zuständigkeitsregelungenin  StPO,  GVG  und  Geschäftsverteilungsplänen–norm-geprägt–näher bestimmt wird) grundrechtsgleich garan-tierte gesetzliche Richter für die meisten Fälle schon da-durch Unparteilichkeit, dass der Richter nicht speziell fürdas Verfahren »ausgesucht« wird, sondern dass ihm die zuentscheidenden Fälle nach abstrakten, im Vorfeld festgeleg-ten Kriterien zugewiesen werden. Zumindest regelmäßigbesteht daher keine persönliche Beziehung zu dem Fall oderseinen Beteiligten. Ergibt sich dabei durch Zufall, dass der Richter gleichwohl in einem im Gesetz näher bestimmtenNäheverhältnis zu Täter oder Opfer der Tat steht oder abermit der Sache in bestimmter Weise3»vorbefasst« war unddaher die abstrakte Gefahr besteht, dass er nicht neutralurteilen kann, ist er nach §§22, 23StPO kraft Gesetzes aus-geschlossen. Darüber hinaus ist vorstellbar, dass trotz derStellung als gesetzlichem Richter und einer fehlenden per-sönlichen Verbindung zu oder im Gesetz geregelter Vor-befasstheit mit der Sache ein Grund auftritt, »der geeignetist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zurechtfertigen« (vgl. §24 Abs.2 StPO). In diesen Fällen kön-nen Richter (und nach §31 StPO auch Schöffen und Urkunds-beamte der Geschäftsstelle bzw. andere als Protokollführerherangezogene Personen) abgelehnt werden. Eine besonde-re Absicherung erhält die Unparteilichkeit revisionsrecht-lich dadurch, dass sowohl die Verurteilung durch ein un-zuständiges oder nicht vorschriftsgemäß besetztes Gerichtals auch die Mitwirkung eines ausgeschlossenen oder einesnach einer Ablehnung zu Unrecht weiter mitwirkendenRichters absolute Revisionsgründe (vgl. §338 Nr.1–4StPO)darstellen.

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APA:

Kudlich, H., & Ohlig, M. (2023). Ob? Wie? Oder auch wie sehr? Besorgnis der Befangenheit wegen Vorbefassung. Juristische Rundschau. https://dx.doi.org/10.1515/juru-2023-2016

MLA:

Kudlich, Hans, and Mathis Ohlig. "Ob? Wie? Oder auch wie sehr? Besorgnis der Befangenheit wegen Vorbefassung." Juristische Rundschau (2023).

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